In meiner Geburtsstadt Grevenbroich gehören Nutrias seit Jahrzehnten zum Stadtbild. Das Flüsschen Erft, das durch die Stadt fließt, ist überdurchschnittlich warm, weil die in der Gegend angesiedelten Kohlekraftwerke zur Kühlung ihrer Turbinen Wasser entnehmen und anschließend wieder in den Fluss zurückleiten. In dieser Umgebung fühlen sich die pelzigen Tiere, die äußerlich Bibern ähneln und auch „Biberratten“ genannt werden, ziemlich wohl. Sie sonnen sich in kleinen Kolonien am Ufer, fressen ihre Pflanzennahrung auf eine kultivierte Art, indem sie das abgezupfte Grünzeug aufrecht sitzend mit der Hand halten und daran knabbern, und sehen dabei wirklich niedlich aus.
Allerdings unterhöhlen sie die Uferbereiche der Flüsse, weshalb sie nicht gern gesehen und gelegentlich zur Jagd freigegeben werden. Als wir Kinder waren, sagte man uns, es würde sich um Bisamratten handeln. Und vor Ratten hatten wir Angst – wie alle Menschen. Niemand traute sich daher, in der Erft zu schwimmen (nur mein Bruder einmal, was ihn fast einen Finger kostete). Neben den Nutrias sollen dort Piranhas gesichtet worden sein, außerdem gibt es unberechenbare Stromschnellen. Das wiederum ist einer der Gründe, warum Grevenbroich als Hochburg der Paddelszene gilt. So mancher spätere Deutsche Meister mit seinem Kajak oder Kanadier stählte seinen Oberkörper durch das Training in unmittelbarer Nähe zu Nutrias, Piranhas und Kohlekraftwerken.
In Köln gibt es andere Neozoen. Berühmt sind die Halsband- und Alexandersittiche, deren Vorfahren aus Indien stammen. Auch verschiedene exotische Gänsearten vermehren sich zunehmend. Kanada- und Nilgänse leben in der Nähe von städtischen Gewässern, wobei sie nicht besonders wählerisch sind. Der Rhein erscheint ihnen ebenso geeignet wie der Aachener Weiher oder das Ossendorfbad. Vor ein paar Tagen sah ich beim Spaziergang im Blücherpark den relativ frisch geschlüpften Nachwuchs eines Nilganspaares beim Grasen am Kahnweiher. Die Gänseküken sehen ihren Eltern überhaupt nicht ähnlich, wahrscheinlich damit die Erwachsenen leicht erkennen können, dass es sich um Kinder/Jugendliche handelt. Ein Elternteil beobachtete sehr aufmerksam, wer sich dem Nachwuchs näherte, gab gelegentlich warnende Geräusche ab, während der andere Elternteil im Hintergrund blieb und schlief. Ich weiß nicht, warum, aber automatisch neigt man dazu, die aktive Rolle der Mutter zuzuschreiben. Vielleicht wechseln sich die beiden aber auch ab.
Die Nilgänse werden, wie alle Zuwanderer, kritisch beäugt. Sie sehen interessant aus, machen es einem aber nicht so leicht, sie liebzuhaben, weil sie überall ihren Kot hinterlassen. Da sie sich in einem relativ kleinen Areal bewegen, kommt mit der Zeit eine ganze Menge zusammen. Es wird noch diskutiert, ob sie den Tieren, die schon länger hier leben, die Nahrung oder gleich den ganzen Lebensraum wegnehmen. Offenbar teilen sie das Schicksal aller Migranten.
Vor ein paar Jahren gab es einen biologischen Angriff auf eines der liebsten deutschen Kulturgewächse: den Buchsbaum. Ganze Schlossparks waren über Jahrhunderte mit kunstvoll geformten Buchsbäumen gestaltet worden und jeder zweite Vorgarten. Auch unserer. Und unser Schrebergarten. Und dann kam der Buchsbaumzünsler. Allein der Name versprach Tod und Untergang. Über Wochen musste ich täglich mehrmals die Gespinste aus den Sträuchern absammeln, mitsamt den darin befindlichen Raupen. Der Fraß war dann trotz aller Bemühungen meist schon soweit vorangeschritten, dass der Buchs an den Stellen ganz kahl und hässlich aussah. Das war dann auch einer der seltenen Fälle, in denen ich die chemische Keule schwang. Buchs wächst sehr langsam und ist insgesamt etwas schwierig. Jahre hatte es gebraucht, die schöne Bauerngarten-Buchsbaumhecke zur Einfriedung des Gemüsebeetes heranzuziehen, so dass es nur verständlich war, dass ich das zerstörerische Werk des Zünslers nicht einfach hinnehmen wollte. Befreundete Gärtner hatten bereits aufgegeben und den Buchs durch alternative Pflanzen ersetzt. Auch in den Gartencentern und Baumärkten riet man uns zu dem Schritt. Am Ende war es die gute alte Trägheit, die dafür sorgte, dass unsere Buchsbäumchen, so unansehnlich sie damals waren, stehen blieben. Und immer noch stehen – mittlerweile wieder in voller Pracht. Als der Zünsler neu ins Land kam, konnten die heimischen Vögel mit den Raupen nichts anfangen. Sie schmeckten ungewohnt, und daher ließen sie ihre Schnäbel davon. Irgendwann muss sich dann doch mal einer getraut haben, denn offenbar hat sich unsere Vogelwelt mittlerweile mit der neuen und exotischen Geschmacksrichtung arrangiert. Die Zünslerpopulation wird nun in Schach gehalten, der Buchsbaum kann wieder gedeihen. Manchmal ist die beste Tat, einfach gar nichts zu tun.
😂Da kommen Erinnerungen hoch. Ich bin zwar in der Erft nur selten geschwommen, eher haben wir an der Erftbrücke der Graf-Kesselstraße mit Baubrettern gesurft. Aber an die Nutrias kann ich mich auch gut erinnern. Allerdings bin ich tatsächlich mal mit einem Boot auf der Erft gefahren. Gependelt, um genau zu sein. In jenen Tagen in den 70er Jahren war ein niederländisches Unternehmen damit beauftragt, das Erftufer zwischen Bergheimer Straße und Graf-Kessel-Straße zu befestigen. Und die Arbeiter fuhren dazu mit einem kleinen Boot hin und her. Und ich durfte mitfahren.